- Basel-Landschaft
- Organisation
- Direktionen
- Sicherheitsdirektion
- Staatsanwaltschaft
- Blog (News Folder)
- Romance Scam, Schockanrufe und Falso Polizia – Identitätsbetrüge und ihre Herausforderungen für die Strafverfolgung
Romance Scam, Schockanrufe und Falso Polizia – Identitätsbetrüge und ihre Herausforderungen für die Strafverfolgung
Falsche Identitäten, echte Schäden – und immer ausgeklügeltere Maschen: Identitätsbetrüge gehören längst zum Alltag von Ermittlungsbehörden. Ob als angeblicher Polizist am Telefon, als verliebte Fremde im Netz oder als besorgter Bankangestellter – Täterinnen und Täter nutzen raffinierte Tricks, um ihre Opfer unter Druck zu setzen und um ihr Geld zu bringen. Die Schäden sind nicht nur finanziell enorm, sondern hinterlassen oft auch emotional tiefe Spuren. Staatsanwalt Marc Obrist leitet bei der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft den Kompetenzbereich für Sozialversicherungs- und Identitätsbetrug. Im folgenden Interview spricht er über die neuesten Entwicklungen in diesem Deliktsfeld, erklärt, warum die Aufklärung oft schwierig ist und weshalb Prävention der wirksamste Schutz ist.
von Marc Obrist, Staatsanwalt, Leiter Kompetenzbereich Sozialversicherungs- und Identitätsbetrug, und Marilena Baiatu, Kommunikationsbeauftragte
Marc, du leitest den Kompetenzbereich Sozialversicherungs- und Identitätsbetrug. Was ist der Unterschied zwischen Identitätsmissbrauch und Identitätsbetrug?
Bei einem Identitätsmissbrauch gemäss Art. 179decies StGB werden die echten Personalien einer Person übernommen und in deren Namen beispielsweise Online-Einkäufe getätigt. Hinter diesen Delikten stehen meist Einzelpersonen. Bei den Identitätsbetrügen, die wir im Kompetenzbereich Sozialversicherungs- und Identitätsbetrug bearbeiten, existieren die vorgegebenen Personen meist nicht. Die Täterschaft nutzt also Fake-Profile und die Deliktsbeträge sind in der Regel sehr hoch. Die Täterinnen und Täter agieren auch nicht alleine, sondern es steckt ein ganzes System dahinter.
Welche bekannten Betrugsphänomene gehören zu den Identitätsbetrügen, die ihr bearbeitet?
Zu den gängigsten Identitätsbetrügen gehören Romance Scams, Schockanrufe, Enkeltrickbetrüge und Fälle mit falschen Polizistinnen respektive Polizisten. Noch weniger bekannt, da es sich um eine eher aktuelle Masche handelt, sind zudem Anrufe, in denen sich die Betrügerinnen und Betrüger als Bankmitarbeitende ausgeben und vorgaukeln, dass sie interne Unregelmässigkeiten entdeckt haben. Das Opfer wird dann gebeten, eine Zahlung durchzuführen, um dies vermeintlich überprüfen zu können. Varianten davon sind auch, dass das Opfer deshalb am Telefon sensible Kontodaten angeben muss oder dass aufgrund der Unregelmässigkeiten angeblich Bankkarten ausgetauscht werden müssen, welche von der Täterschaft dann persönlich bei den Betroffenen abgeholt und damit Bezüge getätigt werden. Die Täterschaft passt ihre Maschen jeweils an, wenn die vorherige in der Gesellschaft immer bekannter geworden und deshalb weniger erfolgsversprechend ist.
Wie viele Delikte gibt es in diesem Bereich im Kanton Basel-Landschaft pro Jahr?
Erfreulich ist, dass es oftmals lediglich bei einem Versuch bleibt. Das bedeutet, dass die angerufene Person den Betrug bemerkt, auflegt und anschliessend der Polizei den Betrugsversuch meldet. Daneben ist es aber auch so, dass wir es bei vielen dieser Fälle mit einer unbekannten Täterschaft zu tun haben. Daher gelangen diese Fälle gar nicht erst zu der Staatsanwaltschaft, sondern bleiben bis zur Ermittlung einer Täterschaft oder bis zum Bedarf nach Zwangsmassnahmen bei der Polizei. Bei der Polizei Basel-Landschaft gingen im Jahr 2024 knapp 900 Meldungen – natürlich inklusive Versuche – diesbezüglich ein. Festnahmen gab es hingegen im Jahr 2024 «lediglich» acht. Bei den 900 Meldungen muss man jedoch bedenken, dass viele Betrügerinnen und Betrüger heute mit technischen Hilfsmitteln, beispielsweise KI, arbeiten, die automatisiert Telefonnummern anrufen und zum Anlocken potentieller Opfer aufgezeichnete Sprachpassagen wiedergeben.
Wie genau funktioniert ein klassischer Romance Scam und welche Straftatbestände kommen zur Anwendung?
Bei einem klassischen Romance Scam erhält man auf Social Media oder über Messenger-Apps eine Kontaktanfrage. Nimmt man diese an, fängt die Betrügerin oder der Betrüger ein Gespräch an. Es folgen schnell viele Komplimente und die zunächst fremde Person «verliebt sich» sehr schnell. Die Person möchte sich eigentlich auch so gerne mit ihrer «grossen Liebe» treffen, aber das klappt natürlich aus den verschiedensten Gründen jeweils nicht. Dann fangen die finanziellen Probleme an, beispielsweise mit Verwandten. So wird ein Elternteil oder Kind schwer krank, man kann sich jedoch die Behandlung nicht leisten. Oder man ist selber unverschuldet in eine vorübergehende, finanzielle Krise geraten. Bald geht es dann nur noch um Geld. Zuerst um geringe Beträge, die plausibel klingen und dann wird es immer mehr. Als geschädigte Person kommt dann teilweise der Moment, in dem man denkt: «Jetzt habe ich schon so viel bezahlt, da komme ich nicht mehr raus» und man lässt die Hoffnung nicht los, dass kein Betrug dahintersteckt und man das vorgeschossene Geld wie versprochen irgendwann zurückerhält.
Als Straftatbestände haben wir vor allem den (gewerbsmässigen) Betrug. Bei Varianten, bei denen man das Geld zuerst jemanden schickt und die Person es dann ins Ausland weiterleitet – oftmals auch unwissend, was sie eigentlich macht – handelt es sich bei letzterer Person um Geldwäscherei. Aber es gibt beim Romance Scam auch die Variante, bei der die Betrügerin oder der Betrüger Nacktbilder respektive -videos verlangen. Geht man auf diese Forderung ein und schickt die Medien, folgt die erste Erpressung, sogenannt Sextortion. Hier decken die Betrügenden dann oft auch ihre Identität auf, sagen also, dass sie beispielsweise gar keine Frau, sondern ein Mann sind, mit dem man die ganze Zeit geschrieben hat, und drohen die Medien zum Beispiel beim Arbeitgeber, den man aufgrund der ausgetauschten Nachrichten erhältlich gemacht hat, zu veröffentlichen.
Gibt es ein typisches Täterprofil in diesem Bereich?
Die Hintermänner beim Romance Scam befinden sich meist in Nigeria oder Ghana. Bei Schockanrufen befinden sich diese eher in Polen und bei Enkeltrickbetrügen in der Türkei. Dies sind die «Ballungszentren», die man kennt. Grundsätzlich handelt es sich bei den Tatpersonen um Menschen, die keinerlei Skrupel haben. Sie wissen, dass sich ihr Opfer tausende von Kilometern entfernt befindet, es ist ihnen egal, dass durch ihre Handlungen diese Personen teilweise ihre Existenz verlieren und dazu auch noch einen grossen Vertrauensverlust erleiden. Denn der kommt ja zum materiellen Verlust immer noch hinzu und ist vielmals für die Betroffenen gravierender. Die Scham, auf den Betrug reingefallen zu sein, führt auch dazu, dass viele Geschädigte keine Anzeige erstatten. Die Dunkelziffer im Bereich des Identitätsbetrugs ist entsprechend sehr hoch.
Wenn wir von Romance Scam sprechen, denken wir oft an weibliche Geschädigte und männliche Täter. Gibt es auch Fälle, in denen Frauen als Täterinnen auftreten?
Die gibt es, ja. Natürlich ist es wohl oft so, dass ein Mann von einer angeblichen Frau kontaktiert wird, hinter der sich in Wahrheit ein Mann verbirgt. Aber ja, weibliche Täterinnen gibt es definitiv. Vor allem bei den Schockanrufen treten dann oft weibliche «Staatsanwältinnen» oder Geldabholerinnen auf. Ich glaube auch nicht, dass Frauen als Geschädigte überproportional betroffen sind. Aber die Schamgrenze in diesem Bereich ist bei Männern wohl oft noch höher, daher schreiben sie den Verlust eher ab, behalten das Ganze für sich und erstatten keine Anzeige.
Gerade Schockanrufe scheinen in letzter Zeit zuzunehmen. Gibt es hierfür Gründe?
Ein Punkt ist hier sicherlich, dass Betrügerinnen und Betrüger mittlerweile auch technische Hilfsmittel einsetzen, beispielsweise Maschinen, die die Erstanrufe automatisch machen. Dann kommt die echte Täterschaft erst zum Einsatz, wenn das potentielle Opfer anbeisst. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass die Präventionskampagnen geholfen haben und sich mehr Betroffene bei der Polizei melden.
Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln macht die Betrüge aber auch immer besser. Gerade bei Enkeltrick- oder Schockanrufen versuchen die Betrügerinnen und Betrüger teilweise zuerst an die Stimme von Verwandten zu kommen, beispielsweise über Anrufe oder auf Social Media gepostete Videos. Erst anschliessend rufen sie das eigentliche Opfer an und stellen mit modernen Technologien die Stimme der Verwandten nach (sogenannte Deepfakes). Die Wahrscheinlichkeit, auf einen solchen Betrug reinzufallen, ist entsprechend sehr hoch.
Hast du Tipps, wie man sich vor all diesen Betrugsphänomenen schützen kann?
Bei Betrugsformen, die angebliche Verwandte involvieren, also Enkeltrick- und Schockanrufe, kann man als Familie ein Codewort vereinbaren, das man bei einem verdächtigen Anruf dann abfragt. Oder man stellt der Gegenseite persönliche Fragen, deren Antwort man nicht zuvor im Netz finden konnte. Gut sind auch Fangfragen, beispielsweise wie die Katze heisst, obwohl man gar keine Katze hat. Aber das ist in der Theorie natürlich deutlich leichter gesagt, als dann in dieser scheinbar dringlichen und brenzligen Situation gemacht.
Bei Online-Bekanntschaften sollte man grundsätzlich hellhörig werden, wenn nach finanzieller Hilfe gefragt wird. Wenn jemand auf der Strasse von einer fremden Person angesprochen, in einen Smalltalk verwickelt und gefragt wird, ob man ihr oder ihm 50'000 Franken gibt, würde man dies wohl auch nicht machen. Genau diese Skepsis, die man im persönlichen «face to face» Kontakt walten lässt, muss man online umso mehr an den Tag legen. Zudem ist es sicher auch hilfreich, solche Themen in seinem Umfeld zuvor zu besprechen.